Rede bei der FFF-Demo am 22.10.21: Für eine andere Verkehrspolitik!
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Gestern war ich zu einer Besprechung in Fulda. OK, es war Sturm, aber ich war der einzige Bahnfahrer der Gruppe, der pünktlich war. Der Kollege aus Essen war schon im Nachbarort Bochum gestrandet und hat geschlagene 8 Stunden gebraucht, um wenigstens wieder heim zu kommen.
Heute startet die Koalitions-Verhandlungsgruppe Mobilität. Wir brauchen so dringend eine Verkehrspolitik, die ihren Beitrag zum Klimaschutz leistet. Wir brauchen keine reine Antriebswende hin zum E-Auto, sondern eine echte Verkehrswende. Denn die Städte ächzen unter der Flut von Autos. Sieht man auch in Schweinfurt. Und es gibt viele Menschen in Deutschland, die können oder wollen gar nicht Auto fahren, aus den unterschiedlichsten Gründen. Katja Diehl, die unter anderem den wirklich guten Podcast „She drives Mobility“ betreibt, fragt gerne: Willst du Auto fahren – oder musst du? Eine gute Mobilitätspolitik bedeutet auch soziale Mobilitätspolitik. Bedeutet Freiheit davon, ein Auto haben zu müssen.
Die üblichen Dinge – mehr Busse und Züge in den Randzeiten, bessere Anbindung der Dörfer, übersichtliche Fahrpläne und Tarife – lass ich jetzt mal beiseite und will heute mal eine ganz andere Frage stellen:
Was bedeutet uns eigentlich Mobilität?
Bei uns in Deutschland normalerweise: So schnell wie möglich von A nach B kommen. Mobilität ist lästig, blöd, dass das Beamen noch nicht erfunden wurde. Wenn wir Radio hören, wird das jede halbe Stunde verstärkt. Denn die wichtigste Nachricht eines jeden einzelnen Tages, kommt alle halbe Stunde, ist zusammen mit dem Wetter: Auf welcher Autobahn habe ich gerade wie viel Zeitverlust?
Macht euch das mal selber klar, was das für euer Denken bedeutet. Zeitverlust! Zeitersparnis! Ist die Zeit unterwegs wirklich verlorene Zeit? Für mich im Auto: Ja. Da muss ich ständig auf die Straße starren. Im Bus und Zug bin ich vielleicht länger unterwegs, aber ich kann arbeiten, lesen, ausruhen, was auch immer.
Noch deutlicher wird das beim Fahrradfahren. Auch da komme ich voran, aber ich tue was für meine Gesundheit und sehe auch mehr von der Umgebung und von den Menschen um mich herum. Im Auto dagegen bin ich von allen und allem anderen abgeschirmt, meist allein unterwegs. Im Wortsinn ein a-soziales Verkehrsmittel.
Die Niederlande haben das schon in den 70ern erkannt und seitdem konsequent auf Fahrradfreundlichkeit gesetzt, auf Verkehrssicherheit für Radfahrer*innen und Fußgänger und öffentlichen Nahverkehr. Unsere älteste Tochter wohnt in Groningen, etwa drei-bis viermal so groß wie Schweinfurt, Uni-Stadt. Da fährt kein Mensch freiwillig mit dem Auto in die Stadt und trotzdem ist dort lebendiges Stadtleben. Busse haben eigene Spuren und sogar Straßen. Am Hauptbahnhof gibt’s ein unterirdisches mehrstöckiges Fahrradparkhaus mit 5000 Stellplätzen, breiten Wegen und Leitsystem. Utrecht hat sogar 12500. Googelt das mal.
Und um diesem seltsamen „Verbots-Argument“ gleich mal entgegenzuwirken: Auch in den Niederlanden wird niemandem das Autofahren verboten. Es ist nur oft einfach viel bequemer, schneller und meist auch billiger, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. Und das, was wir grade mal für Schweinfurt haben – eine Karte für alle Stadtbusse – das gibt’s dort fürs ganze Land. Mit der OV-Kaart checke ich in jedem Verkehrsmittel ein und aus. Bus, Bahn, U-Bahn, im ganzen Land. So simpel kann das sein. Österreich führt das Klimaticket ein. Und wir?
Von all dem sind wir weit entfernt. Aber das ist meine Hoffnung, dass wir mit 40 Jahren Verspätung nun zumindest auch diesen Weg einer anderen, neuen Mobilitätspolitik einschlagen. In Schweinfurt sehe ich jetzt immer öfter auf die Straße aufgemalte Fahrradspuren. Das ist ein guter Anfang. Nach niederländischen Design-Richtlinen – ja, so was gibt’s – wäre das aber nur die absolute Notlösung für Straßen, die einfach zu eng sind. Da ist dann auch nur 30 erlaubt. 50 geht nur auf Straßen, die einen baulich getrennten Fahrradweg haben. Stellt euch mal eure eigene Wohngegend vor. Wie könnte das dort aussehen? Oder wie müssen die neuen Mainbrücken aussehen, um andere Prioritäten zu setzen? Da haben wir nur jetzt eine Chance, für die nächsten 50 Jahre etwas zu ändern. Auch die Stadtbahn ist für mich da nach wie vor eine spannende Idee.
Heute beginnen die Verhandlungen zu Mobilität. Veränderungen im Bund werden nicht von heute auf morgen gehen. Aber ich hoffe sehr, dass wir in zehn Jahren anders unterwegs sein werden als heute. Entspannter. Ressourcenschonender. Sozialer. Und mit dem Auto nur noch dann, wenn’s halt wirklich nicht anders geht. Ich bin gespannt – und zumindest verhalten optimistisch.