Kuschelig leben
Die @textzicke ist Schuld an diesem Text. Die hat so was Ähnliches geschrieben, ein paar andere haben es auch getan – und ich fand es sehr berührend. Was nun folgt, ist eigentlich gar nicht unbedingt für euch, sondern eher für mich selbst. Aber ich lasse euch gerne daran teilhaben. Mein Leben – in etwas mehr als den üblichen 140 Zeichen:
Mein Name ist Heiko Kuschel. Als Kind fand ich diesen Nachnamen gar nicht so toll, weil andere darüber lachten. Heute stelle ich mich vor mit „Kuschel. Wie der Bär.“ und habe die Lacher schon mal auf meiner Seite. Überhaupt lache ich gern, viel und laut. Auch in ernsthaften Sitzungen. Ich suche immer Alternativen zu dem, was alle denken: Mit dem Strom schwimmen ist leicht, aber langweilig. Mein häufigster Satz ist „Ich mache niemals Quatsch“, aber das Schöne an diesem Satz ist, dass er völliger Quatsch ist. Meine zweitälteste Tochter sagt immer, ich hätte Clown werden sollen. Darauf antworte ich: Klaun ist doch verboten. Dann schlägt sie mich.
Ich bin jetzt 18 Jahre verheiratet (mit immer noch der gleichen Frau) und habe vor, da noch etliche dranzuhängen. Kinder zu haben, ist für mich ein ganz großes Wunder. Unsere Älteste ist jetzt schon 17 und macht Abitur. Nach 11 Jahren Pause kam vor eineinhalb Jahren noch unsere Nachzüglerin. Ich genieße es sehr, sie zu haben. Wir sehen doch vieles lockerer als bei den ersten Kindern. Und das, obwohl sie sechs Wochen zu früh auf die Welt kam und ihr Leben erst einmal auf der Kinder-Intensivstation begann.
Ich habe mittlerweile ein Haus gebaut (na ja, bauen lassen), einen Baum gepflanzt, vier Kinder gezeugt, zwei Bücher geschrieben, eine CD veröffentlicht, und frage mich manchmal, was da jetzt eigentlich noch kommen soll. Aber eigentlich habe ich so viele Ideen, dass sie sowieso nicht in ein Leben passen. Vielleicht in sieben; möglicherweise bin ich ja eine Katze. Unseren zugelaufenen Kater wollte ich „Hund“ nennen, weil so vermutlich kein anderer heißt, aber die Familie war dagegen. „Jimmy Kater“ ist aber auch nicht schlecht. Neben mir der einzige Mann im Haus. Wenn er denn mal da ist.
Ich lerne gerne neue Sprachen. Nur Niederländisch ist schwierig, obwohl wir dort jedes Jahr Urlaub machen. Denn fast alle Holländer hören am Akzent sofort, dass ich Deutscher bin, und antworten in nahezu perfektem Deutsch. Wie soll man da diese Sprache lernen?
Überhaupt: Ich liebe Sprache an sich. Sie ist für mich wie Musik. Und Musik ist wie Sprache. Manchmal höre ich im Halbschlaf ein klassisches Stück und habe das Gefühl, ich höre den Komponisten zu mir reden und verstehe jedes Wort. Selbst spiele ich Querflöte, Gitarre, Klavier und hatte ein paar Jahre Gesangsunterricht. Als Schüler bin ich um 5:30 aufgestanden und habe 30 Minuten Querflöte, 20 Minuten Gitarre und 20 Minuten Klavier geübt. Mein Gehör ist mein am besten ausgeprägter Sinn: Meine Brille finde ich ohne fremde Hilfe nicht wieder, wenn ich sie verlegt habe, ich habe eine leichte Rot-Grün-Sehschwäche, riechen und schmecken kann ich auch nicht sooo wahnsinnig gut, glaube ich. Aber ich habe schon mal jemanden, den ich jahrelang nicht gesehen hatte, an der Stimme wiedererkannt, ohne ihn in dem Moment zu sehen. Und ich treffe im Gottesdienst meistens den richtigen Ton, auch wenn der Organist vergisst, ihn mir vorzugeben.
Ich habe ständig irgendwelche komischen Wortspiele im Kopf. Die meisten vergesse ich gleich wieder. Wenn ich es schaffe, sie im Smartphone zu notieren, landen sie auf Twitter. Überhaupt bin ich hauptberuflich Chaot. Alles, was mit Zetteln und Papier zu tun hat, ist mir ein Graus. Ich liebe Computer, Smartphones und so, vielleicht auch deshalb, weil ich da mein Leben organisieren und halbwegs im Griff haben kann, ganz ohne Zettel. Bei Konferenzen muss ich mir für die Unterschrift auf der Anwesenheitsliste vom Nachbarn einen Stift ausleihen, denn ich habe so gut wie nie einen dabei. Apropos Computer: In den guten alten Zeiten hatte ich einen Amiga, ach was, mehrere. Und habe für die führende Amiga-Zeitschrift amigaOS (später AMIGAplus) regelmäßig Artikel geschrieben. Hardware-Testberichte, Software-Vorstellungen, Kurse über Skriptprogrammierung. Da bin ich nämlich ein fürchterlicher Tüftler: Lieber stecke ich vier Stunden in die Automatisierung eines langweiligen Vorgangs, als es in einer Viertelstunde von Hand zu erledigen.
Ich hasse nichts so sehr wie Inkompetenz und langweiliges Geschwafel. Da werde ich schrecklich ungeduldig. Schon in der Schule habe ich mir in manchen Schulstunden vorgestellt, wie mein Stuhl (mit mir drauf!) einfach abhebt und zum Fenster raus schwebt. Diese Phantasie habe ich immer noch in manchen Konferenzen. Leider ist sie noch nie Wirklichkeit geworden.
Ich bin 42 Jahre alt und damit drei Jahre älter als mein Vater geworden ist. Ich hatte den Tag ausgerechnet, an dem ich genau so alt war wie er an seinem Todestag, und wollte eine Kerze anzünden. Das habe ich dann aber vergessen. Als Pfarrer habe ich auch sonst viel mit dem Tod zu tun. Beerdigungen, selbst die allertragischsten, haben auch etwas Schönes, Bewegendes, Zusammenschweißendes. Einer meiner engsten Jugendmitarbeiter, eigentlich kann man sagen: ein guter Freund, hat sich auf einer von mir geleiteten Freizeit erhängt. Ich habe ihn abgenommen, war bei ihm, bis die Sanitäter kamen, habe seine Eltern benachrichtigt und ihn beerdigt. Ich habe lange gebraucht, um mich von der Erschöpfung nach dieser Woche zu erholen. Trotzdem bin ich froh, dass ich alles das für ihn tun konnte. Wenn ich heute an sein Grab gehe, sage ich „Idiot!“
Ich liebe meinen Beruf. Pfarrer sein ist wunderbar. Ich kann im Prinzip alles machen, wozu ich Lust habe. In der Gemeinde war das natürlich etwas eingeschränkt, deshalb habe ich mich auf die Stelle „Citykirche“ beworben, wo es keinen Vorgänger und praktisch keine Vorgaben gab. Ich arbeite am liebsten im Team und habe mit meinem katholischen Kollegen endlich jemanden gefunden, mit dem das auch wunderbar funktioniert. Blöd für einen Pfarrer und nahe an der Berufsunfähigkeit ist allerdings, dass ich mir fast keine Gesichter und Namen merken kann. Email-Adressen aber schon, weiß auch nicht, warum. Und Häuser. Wenn ich früher in der Gemeinde Geburtstagsbesuche machte, wusste ich sofort wieder, wer das ist, wenn ich vor der Tür stand und klingelte. Manchmal frage ich im Gespräch auf der Straße mit mir völlig Unbekannten ganz beiläufig „Wo wohnen Sie nochmal?“ - dann weiß ich wieder, mit wem ich da rede. Eigentlich bin ich ziemlich schüchtern und muss mich jedes Mal überwinden, auf Leute zuzugehen und sie anzusprechen. Vielleicht klappt es gerade deshalb so gut.
Was mir über Familie und Beruf hinaus wichtig ist und wofür ich mich einsetze, wo ich kann, das hat der „konziliare Prozess“ in den Kirchen schon in den achtzigern fantastisch zusammengefasst: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Ich esse und trinke gern. Vor allem Pasta in jeglicher Form. Nürnberger Bratwurst. Ente. Auch mal sonntags einen Braten. Hühnerfrikassee (auch Hühner haben eine Frikasseele!). Salat. Pizza. Ach, eigentlich alles außer Rosenkohl.
Ich vertrage auch eine ganze Menge Weißwein (roten überhaupt nicht). Was Besseres kann einem in Unterfranken nicht passieren – ich habe auch schon mal nachts um halb drei auf der Kirchweih eine Beichte abgenommen. Gut, dass der Pfarrer da ist. Manchmal trinke ich auch ein Bier (am liebsten dunkles Hefeweizen), aber da kann es sein, dass ich schon nach einem halben Glas am nächsten Morgen einen Kater habe. Und der heißt dann nicht Jimmy. Ich habe wohl einige Kilo zu viel auf den Rippen, aber das ist mir ziemlich egal. Manchmal beschließe ich am Aschermittwoch spontan, bis Karfreitag 10 Kilo abzunehmen, das kriege ich dann auch fast hin und irgendwie macht es auch Spaß. Natürlich habe ich dazu eine App auf dem Smartphone, wo ich jeden Morgen mein Gewicht eintrage. Aber dann an Ostern ist es auch wieder gut und ich kann wieder lecker essen.
Sport mache ich nicht so wirklich gern, außer Tanzen mit meiner Frau, so richtig in der Tanzschule. Vor drei Jahren habe ich mir vorgenommen, die 6km zu meinem neuen Büro öfter mit dem Fahrrad zu fahren, das habe ich exakt ein Mal gemacht. Der Stadtbus ist einfach viel bequemer. Wo es geht, fahre ich auch sonst mit Bus und Bahn. Lieber zwei Stunden im Zug als eine Stunde im Auto. Ist viel angenehmer und ich kann was lesen oder arbeiten oder einfach nur aus dem Fenster schauen. Ist mir auch egal, wenn der Zug mal Verspätung hat, mit dem Auto steht man auch öfter im Stau.
Dabei habe ich eigentlich mein Traumauto gefunden: Ein VW Multivan. Mit vier Kindern und Opa sind alle Plätze belegt. Alle Autos, die ich bisher gekauft habe, waren von VW. Mein erster war ein 12 Jahre alter Käfer mit gerade mal 34.000 km. Cremeweiß. Baujahr 1978. Den habe ich zwei Jahre lang gefahren, dann brauchte ich ihn nicht mehr, denn im Studium in Erlangen war ein Auto einfach nicht nötig. Mit diesem Käfer in Erlangen habe ich Einparken gelernt. Ich kann's nur rückwärts, egal, wie groß die Lücke ist. Und umso besser, je knapper sie ist. Wenn Platz für zwei Autos ist, komme ich nicht gut rein, das ist mir immer ein bisschen peinlich.
Andere machen Puzzle oder Kreuzworträtsel – ich baue zur Entspannung Websites. Ich kann nicht aus dem Stand sagen, wie viele es jetzt gerade sind, ungefähr 15 vermutlich. Ich finde es entspannend und anregend, nachts um halb zwölf an irgend einer CSS-Regel zu basteln oder so was. Als ich damals eine eigene Domain haben wollte, war kuschel.de schon belegt – von einer Schwulen-Seite. Heute sind's Rechtsanwälte. Aber kuschelchaos.de ist sowieso viel besser – und weil das als Email-Adresse für einen Pfarrer vielleicht nicht ganz so seriös wirkt, kam dann halt gleich noch kuschelkirche.de dazu. Ansonsten ist meine liebste Beschäftigung Lesen. Und zwar alles. Den Evakuierungsplan im Hotel. Die Herstellerangaben auf dem Wärmebettchen unserer Jüngsten in der Intensivstation. Irgendwelche Hinweise auf irgendwelchen Türen. Aber trotzdem natürlich am liebsten Bücher. Was es nicht auf dem Kindle gibt, hat es mittlerweile schwer bei mir (siehe oben, Stichwort „Papier“). Selbst meine Predigten drucke ich nicht mehr aus, sondern schicke sie mir als PDF auf den Kindle. Besonders gerne lese ich Science Fiction. Perry Rhodan. Das ist so eine ganz andere Welt, das gefällt mir. Von den diversen Star-Trek-Serien fand ich „Deep Space Nine“ am interessantesten, weil sich da wirklich auch ein ganzer politischer Kosmos aufgebaut hat, denn die Station bleibt ja im Gegensatz zu den diversen Raumschiff-Enterprise-Varianten immer am gleichen Ort. Leider habe ich bis heute die letzte Staffel nicht gesehen. Abgesehen davon, sehe ich nicht viel fern. Dr. House manchmal oder Monk. Twitter ist viel interessanter.
Meine Füße sind „Hobbitfüße“, sagt meine Frau. Ich sage: Über sie läuft die Termperaturregulierung meines Körpers. Wenn ich zu Hause bin, ziehe ich meistens die Socken aus (die liegen dann irgendwo rum, was zum Glück nicht ganz zum Scheidungsgrund reicht). Bei Freunden, in der Bahn usw. habe ich mich mittlerweile aber so weit im Griff, dass ich dort meistens meine Schuhe und Socken anlasse. Ein Schlafsack muss die Möglichkeit haben, den Reißverschluss am unteren Ende ein Stück aufzumachen, damit ich bei Bedarf meine Füße rausstrecken kann. Sonst kann ich ihn nicht benutzen.