Einer von tausend Toden
Christiane Frohmann hat ein sehr spannendes Projekt auf die Beine gestellt: Ein E-Book, in dem – in der letzten Version – 1000 Autorinnen und Autoren ihre jeweils eigene Sicht auf den Tod in kurzen Texten beschreiben. Am besten, ich lasse sie selbst mal zu Wort kommen:
Die Idee ist, dass tausend Autoren tausend kurze Texte über den Tod schreiben: Persönliche Begegnungen, wissenschaftliche Betrachtungen, Fiktion. Diese vielfältigen Texte sollen zusammenwirken als ein transpersonaler Text, der – so die Annahme – einiges über das aktuelle Bild des Todes in unserer Gesellschaft verraten wird.
Mein eigener Beitrag zu diesem Buch ist eine sehr ernste Geschichte. Menschen mit schwachen Nerven empfehle ich, lieber nicht weiterzulesen. Aber als Pfarrer erlebt man eben nicht nur die 90jährige Oma, die alt und lebenssatt im Kreis ihrer Lieben entschlafen ist. Sondern auch die hässliche Seite des Todes. Die entsetzliche Seite. Von so einer Begegnung mit dem Tod handelt meine Geschichte.
„Drei Stunden hab ich gebraucht, um sie so wieder hinzukriegen!“ Mitten in der Beerdigungsfeier, am offenen Sarg, flüstert mir der Bestatter diesen Satz zu, fleht geradezu um ein Wort des Trostes für sich selbst. Und ich, der Pfarrer, kämpfe noch mehr um Fassung, als ich auf dieses kleine, süße, immer noch etwas ramponiert aussehende Mädchengesicht sehe. Was für ein sinnloser, geradezu irrwitziger Verkehrsunfall. Drei Jahre war sie alt. So alt wie meine eigene Tochter. Und nun stehen wir hier und ringen um Worte und Trost.
Der katholische Kollege hatte mich angerufen: „Lass uns das gemeinsam durchstehen! Das geht das ganze Dorf an.“ Was war ich froh gewesen um seine Unterstützung in der Andacht vor der eigentlichen Beisetzung. Seine Worte des Gebets. In der Predigt hatte ich gefragt, wo Gott denn war, wo er jetzt ist. „Gott wohnt gerade jetzt im Steinweg 7“, so hatte ich gesagt. Aber ob es den Eltern helfen wird?
In der Sakristei waren wir uns heulend in die Arme gefallen, zwei gestandene Männer, Pfarrer, die schon manches erlebt hatten, aber nicht das. Gemeinschaft und Nähe: Nie wieder habe ich das so sehr mit diesem Kollegen gespürt wie in diesem Augenblick.
Irgendwie geht die Beisetzung vorüber. Irgendwie finden wir uns alle ein im Steinweg 7, der in Wirklichkeit natürlich anders heißt. Auf der Kaffeetafel brennt die Taufkerze des kleinen Mädchens. Ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Ein Moment der Hoffnung, irgendwie, verzweifelt, klein, trotzig. Ein Zeichen: „Du bist dabei, auch wenn du nicht da bist.“ Und ein Zeichen: „Gott wohnt jetzt wirklich hier bei uns.“
Geradezu demonstrativ sind sie alle da, die Verwandten und Freunde der Eltern. „Wir lassen euch nicht allein! Wir gehören zusammen!“ Gemeinschaft und Nähe: Spürbar, geradezu greifbar, hier, im Moment der größten Not und Trauer.
Warum nur, warum erlebe ich das immer wieder so: Dass nichts die Menschen so sehr zusammenschweißt wie der Tod?