Wir sind Bettler, das ist wahr
Heiko Kuschel
8. Januar 2011 - 9:58
Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias
Gochsheim, 7./8.1.2006; Schonungen, 9.1.2011
Text: 1. Kor 1, 26-31
26 Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. 27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, 29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme. 30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 31 damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22.23): «Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!»
Liebe Gemeinde!
Als Martin Luther starb, fand man auf seinem Schreibtisch einen letzten Satz, kurz vor seinem Tod geschrieben: „Wir sind Bettler, das ist wahr“. Es ist wie ein Vermächtnis, dieser Satz. Wir sind Bettler: Wir haben nichts, womit wir vor Gott be3stehen könnten. Wir können ihm nichts geben. Wir können nur dankend empfangen. Das war es, was Luther ein Leben lang den Menschen predigte: Wir sind Bettler, das ist wahr.
Das klingt ganz anders als unsere Vorstellung von einem guten, schönen Leben. Wer wäre schon gerne ein Bettler? Wir träumen davon, erfolgreich zu sein. Wir träumen vom großen Lottogewinn oder davon, dasss unsere Kinder oder Enkel einmal mehr Erfolg haben als wir. Die Jugendlichen träumen davon, bei „Deutschland sucht den Superstar“ und ähnlichen Sendungen groß rauszukommen. Und manche, ganz wenige, die schaffen es auch. Werden berühmt und erfolgreich.
Aber die meisten von uns, für die bleibt das alles höchstens ein Traum. Wir sind halt einfach ganz normale Menschen, mehr oder weniger zufrieden oder unzufrieden mit dem Leben, das wir haben. Wir versuchen, unsere Sache so gut zu machen, wie wir eben können. Manchmal gelingt uns, was wir uns vorgenommen haben – und manchmal geht es auch daneben. So sind wir eben. Wir machen manches gut und manches geht daneben. Wir sind Bettler, das ist wahr. Berühmt und erfolgreich – das schaffen nur ganz wenige, und noch weniger sind wirklich glücklich damit.
Das Seltsame ist: Auch Gott, als er in Jesus auf die Welt kam, war alles andere als ein Superstar, so wie wir ihn uns vorstellen. Gerade haben wir es gefeiert, vor ein paar Wochen davon gehört: er war so arm, dass er in einer Krippe schlafen musste als Kind. Die ersten, die von seiner Geburt hörten, das waren nicht irgendwelche Weisen und Schriftgelehrten, die jeden Tag die Bibel studierten und überall hoch angesehen waren. Nein, es waren die Hirten, die, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte, die ausgestoßenen aus der Gesellschaft. Vielleicht konnten nur sie wirklich erfassen, was das heißt: Gott wird einer von uns. Er kommt eben nicht als einer der Großen und Mächtigen, sondern ganz klein.
Und auch am Ende seines Lebens steht er da wie ein Versager: Verurteilt zum Tod am Kreuz als Schwerverbrecher. Das soll der Messias sein? Niemals! So sagen die Juden. Der Messias, das ist der Gesalbte Gottes, der das Großreich Israels wieder errichten wird, als ein Nachkomme von König David. Der die Römer aus dem Land vertreiben und Israel wieder in die politische Selbständigkeit und in eine neue Blüte führen wird. Ein Ärgernis für die Juden ist er, dieser gekreuzigte Messias. So schreibt es Paulus wenige Zeilen vor unserem Predigttext: Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit.
Auch die Griechen, also die Philosophen der damaligen Zeit, können das nicht akzeptieren: Für sie ist Gott per Definition etwas Großes, Unnahbares, vielleicht sogar Unveränderbares. Jedenfalls ein Wesen, das so weit weg ist von uns, dass wir uns nur noch klein und unbedeutend vorkommen können. Ein Gott, der leidet und stirbt am Kreuz? Unvorstellbar! So etwas ist töricht. Wer daran glaubt, ist selber schuld.
Doch genau das ist die Botschaft des Paulus: Gott macht aus dem Kleinen, Unbedeutenden etwas Großes. Aus dem Menschen Jesus, der vor der ganzen Welt als Versager dasteht, macht er den Sohn Gottes, den Messias, den Auferstandenen, der den Tod für uns besiegt hat. Aus kleinen, oft unbedeutenden Menschen, wie wir uns manchmal selber vorkommen, macht er Menschen, die etwas bewirken können. Sei es hier in unserer Gemeinde, wo viele mit ihrer Musikalität zu unseren Gottesdiensten beisteuern, mit Verantwortung tragen in Gruppen, Kreisen und Gremien. Sei es in der Familie, wo viel mit ihren oft so gering geschätzten Fähigkeiten sich aufreiben, den Haushalt führen, vielelicht noch die Oma oder den Opa pflegen. Sei es unter Freunden, wo einer vielleicht einmal das richtige, tröstende Wort für einen anderen hat. Das sind Dinge, die viel wichtiger sind als Ruhm und Ehre. Aber selbst das – vor Gott zählt es überhaupt nichts. Kein Mensch kann sich vor Gott rühmen, dass er Gottes Willen vollkommen gerecht wird. Kein Mensch kann von sich sagen, dass er Gottes Gebote vollkommen erfüllt. Nur einer hat das jemals getan, und der wurde von den Menschen dafür verachtet: „was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt; was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt.“ Für ihn zählt nicht, was wir leisten, ob wir Superstars sind oder arme Schlucker, ob wir reich und angesehen sind oder einsam und verbittert. Für ihn zählt nur eines: Dass wir zu Jesus Christus gehören. Dass wir vor Gott treten und erkennen: Wir haben uns Gottes Liebe nicht verdient. Wir sind Bettler vor ihm, die ganz und gar auf seine Gnade angewiesen sind. Nur einer kann uns helfen. Einer, der genauso war. Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit, aber von Gott gemacht uns zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.
Ein seltsamer Glaube ist das, so haben die Gelehrten damals geurteilt. Die jüdischen Schriftgelehrten ebenso wie die griechischen Philosophen. Das kann doch keiner ernst nehmen. Und gerade dieses Urteil über unseren Glauben ist es, das mich noch mehr davon überzeugt: Das, was damals geschehen ist, das hätte sich kein Mensch ausdenken können. Das war so völlig gegen das Denken der damaligen Zeit. Aber dieser Jesus, dieses Ärgernis, diese Torheit: Die Botschaft davon hat die Zeit überdauert. Und bis heute verlassen wir uns darauf: Gott nimmt uns an. Mit allen unseren Fehlern und Schwächen. Er kommt zu uns, er ist einer von uns geworden. Und – er stärkt uns heute/morgen in Brot und Wein. Er hat uns berufen durch die Taufe. Wir gehören zu ihm, nicht, weil wir es verdient hätten, sondern weil er es uns schenkt: Wir sind Bettler, das ist wahr.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.