Endloses Bewusstsein
Nach einem sehr persönlichen Erfahrungsbericht über eine selbst erlebte Nahtoderfahrung habe ich mich nun intensiv mit dem derzeitigen „Standardwerk“ zu dem Thema beschäftigt.
Pim van Lommel, niederländischer Kardiologe, ist wohl so ziemlich der erste, der auf die Idee kam, nicht nur Berichte von Nahtoderfahrungen (NTE) auf Gemeinsamkeiten zu untersuchen, sondern sich sozusagen auch gleich eine Kontrollgruppe zu schaffen. Dazu befragte er in zehn Krankenhäusern alle Patienten, die klinisch tot gewesen waren und wiederbelebt wurden, ob sie besondere Erlebnisse gehabt hatten. Nach zwei und nach acht Jahren gab es weitere Interviews.
Herausgekommen ist ein wirklich umfassendes Buch zum Thema. In den ersten Kapiteln berichtet van Lommel hauptsächlich von den gesammelten Erzählungen. Er sortiert und kategorisiert – und fragt auch danach, ob andere Erklärungen in Frage kommen, die immer wieder genannt werden: Sauerstoffmangel etwa, der zu einer „Fehlfunktion“ des Gehirns führen konnte oder bestimmte Medikamente.
Da Nahtoderfahrungen aber auch dann auftreten können, wenn sich Menschen nur dem Tode nahe wähnen – etwa Bergsteiger, die gerade abstürzen oder Menschen, die einen Unfall unabwendbar vor sich sehen – sind diese Erklärungen aus seiner Sicht eher unwahrscheinlich. Zudem war bei seinen Patienten, die ja alle in einer überwachten Umgebung klinisch tot waren, immer klar: Es gibt keine messbaren Hirnfunktionen mehr. Da stellt sich schon die Frage, wie in so einer Situation besonders klare „Träume“ oder „Halluzinationen“ auftreten können.
Die NTE, die van Lommel gesammelt hat, haben zudem oft noch einen wirklich unerklärlichen Aspekt: Die Patienten können Dinge berichten, die sie definitiv nicht mitbekommen haben können. Das geht los beim im Koma eingelieferten Patienten, der später beschreiben konnte, wo der Pfleger sein Gebiss hingelegt hatte, das nicht mehr auffindbar war. Und es geht bis zu Inhalten von Gesprächen, die definitiv in anderen Zimmern stattgefunden haben.
Zu diesem Teil kann ich nur sagen: Faszinierend, was alles möglich ist. Dass es Dinge gibt, die über unseren begrenzten Verstand hinausweisen, davon bin ich ja sowieso überzeugt.
Van Lommel entwickelt nun aus seinen Forschungsergebnissen heraus eine These, wie es zu diesen NTE kommen kann, wo doch das Gehirn in dieser Zeit offensichtlich völlig untätig ist. Dazu referiert er zunächst einmal über die Funktion des Gehirns und scheut selbst vor quantenphysikalischen Überlegungen nicht zurück. Letztlich gelangt er zu der begründeten Hypothese: Unser Bewusstsein ist etwas, das außerhalb von uns selbst existiert. Das Gehirn ist nicht der Ort, an dem das Bewusstsein entsteht – es ist eher so etwas wie ein Fernsehempfänger (und gleichzeitig eine Kamera, die unsere Sinneswahrnehmungen wieder an unser Bewusstsein zurückspielt). Möglicherweise spielt dabei unsere DNA auch eine größere Rolle. Hinweise darauf gibt es in anderen Forschungszweigen, die darauf hindeuten, dass möglicherweise bei einer Organverpflanzung auch Erinnerungen, Vorlieben, eben Persönlichkeitsmerkmale des Organspenders mit „verpflanzt“ werden. (Dieses Kapitel über Organspenden, das nicht die Organspende selbst kritisiert, aber den unkritischen Umgang nur in Richtung „jeder sollte das tun“, halte ich unabhängig von der Frage nach NTE für lesens- und bedenkenswert.)
Gegen Ende wird es nochmal spannend, wenn van Lommel einen Streifzug durch NTE-Berichte und NTE-Hinweise in der Geschichte und in den verschiedenen Religionen macht. Offen bleibt die Frage, wie sich seine Theorie zu den existierenden Religionen verhält. Ist ein eine Art „Beweis“, dass da etwas dran ist? Oder ist es eher im Gegenteil der Hinweis, dass Religionen möglicherweise auf NTE fußen, aber manches davon auch ziemlich schräg interpretiert haben?
Manches in diesem Buch hört sich nach haarsträubender Esoterik an. Van Lommel bricht mit wissenschaftlichen Methoden die Grundmauern der Wissenschaft ein – das ist mir sehr sympathisch, machen wir gewissermaßen in der wissenschaftlichen Theologie nicht viel anders. Dass es Dinge gibt, die über unsere – ich nenne es mal „Wissenschaft 1.0“ - hinausweisen, gibt, ist wohl kaum noch zu bestreiten, das geht ja schon bei der Quantenphysik los. Ob es genau van Lommels Schlussfolgerungen sein müssen? Sicher gibt es auch oft andere Deutungen, die er übrigens auch zu Wort kommen lässt; auch generelle Kritiker an seiner Herangehensweise werden zitiert, die allerdings eher unter dem Stichwort „verbohrte alte Wissenschaft“.
Das Buch ist ausgesprochen gut zu lesen, obwohl es ja mehr oder weniger ein Fachbuch ist. Ich habe auch abends im Bett noch darin gelesen. OK, beim Quantenphysik-Kapitel war das eine Herausforderung, aber ansonsten kein allzu großes Problem. Jedes Kapitel hat eine Einleitung, ein Fazit. Wem ein bestimmtes Kapitel zu kompliziert ist, kann es auch ohne allzu große Probleme überspringen und vielleicht nur den Schluss lesen; besonders wichtige Aspekte werden in verschiedenen Kapiteln immer wieder erwähnt. (Das wurde ihm auch als „Wiederholungen“ angekreidet, ich finde das aber gerade gut, um eben auch mal ein Kapitel überspringen zu können.)
Van Lommel findet eingängige Bilder wie das oben genannte mit dem Fernsehapparat. Es ist spannend, seinen Gedankengängen zu folgen. Ich bin nach diesem Buch zumindest davon überzeugt, dass es Nahtoderfahrungen gibt. Ein Leben nach dem Tod können sie aus meiner Sicht nicht beweisen, aber doch darauf hinweisen. Das allein mag für viele ein Trost sein. Menschen, die von einer NTE zurückkommen, haben jedenfalls keine Angst mehr vor dem Sterben. Und auch in der Art, wie sie intensiver und liebevoller leben, könnten sie ein Vorbild für uns sein.
Aus meiner Sicht ist dieses Buch zu Recht das Standardwerk zum Thema Nahtoderfahrungen. Selbst, wenn man mit van Lommels Schlussfolgerungen nicht übereinstimmt, bekommt man hier doch einen ausgesprochen guten Überblick über das Thema. Wer einen persönlicheren, weniger wissenschaftlichen Einstieg ins Thema sucht, sollte vielleicht das Buch „Heilung im Licht“ lesen.
Buchinformationen
van Lommel, Pim: Endloses Bewusstsein: Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung.
Taschenbuch: 480 Seiten, Verlag: Knaur TB (2013), ISBN: 978-3-4268-7624-4, 12,99 €
Broschiert: 440 Seiten Verlag: Patmos; 6. Auflage 2011, ISBN-13: 978-3-8436-0013-2, 16,95 €
Gebundene Ausgabe: 456 Seiten Verlag: Patmos (2009), ISBN-13: 978-3-4913-6022-8
E-Book 12,99 €
Bewusstsein, Sterbeerfahrung
Es ist schade, dass heutzutage nicht einmal die einfachsten Grundregeln der Sprache gekonnt werden:
Bewusstsein - ist definiert als ein Ergebnis neuronaler Aktivitäten des biologischen Gehirns. Diesen Begriff in einem Zusammenhang ohne biologisches Gehirn zu verwenden ist daher eine absichtlich falsche Verwendung dieses Begriffes. Wer behauptet, dass es ein Bewusstsein außerhalb unseres Gehirns geben könne - muss entweder belegen, dass es dort ein biologisches Gehirn gibt oder darf diesen Begriff in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Außer man will die Leser absichtlich manipulieren oder täuschen.
Sterbeerfahrung: Wir haben schon in der Volksschule gelernt, dass eine Steigerungsform von ´tot´ - tot, töter, mausetot - nicht zulässig ist; da unsinnig. Ein Mensch ist lebendig, wer tot ist, ist eine Leiche. NTEs als Sterbeerfahrung zu betrachten ist daher aus sprachlicher Sicht ein Unsinn.
Todesnähe/Nahtod: Dieser Begriff ist völlig sinnlos, da es keine zeitliche oder räumliche Nähe zum Tod gibt. Der Tod ist kein Objekt, welches sich annähert, mit der hinterhältigen Absicht uns das Leben zu rauben. Auch wenn manche Leute wiederholt berichten, dass sie sich beim Anblick ein Spinne zu Tode erschreckt hätten - oder nach dem Hören eines guten Witzes totgelacht haben; so kann man davon ausgehen, dass dies nicht der Realität entspricht. Denn sonst könnten sie nicht davon erzählen.
Es ist schade, dass derartige Esoterikliteratur so kritiklos gelesen wird, wie es hier erkennbar ist.