Ein ganzes halbes Jahr
Louisa Clark ist eine etwas verpeilte junge Frau, die in einem Ort in der Nähe von London bei ihren Eltern wohnt und in einem Café arbeitet. Sie hat ein nettes, aber irgendwie auch langweiliges Leben. Dann wird ihr Café geschlossen und Louisa muss sich einen neuen Job suchen. Nicht ganz so einfach – doch schließlich wird sie für sechs Monate angestellt, um einen querschnittsgelähmten jungen Mann zu pflegen.
Will war vor seinem Unfall ein ausgesprochen erfolgreicher Manager. Er war aktiv, hat das Leben genossen. Dieses Leben im Rollstuhl will er nicht, und das zeigt er auch jedem um in herum. Es ist nicht leicht für Louisa, mit ihm umzugehen, doch nach und nach findet sie einen Zugang zu ihm.
Dann erfährt sie zufällig, warum sie nur befristet für ein halbes Jahr angestellt wurde: Will möchte in die Schweiz fahren, um seinem aus seiner Sicht unbefriedigenden Leben ein Ende zu setzen.
Louisa ist entsetzt. Doch sie gibt Will nicht so schnell auf: Lieber möchte sie ihm zeigen, wie lebenswert das Leben auch für Rollstuhlfahrer sein kann. Nach und nach erweitert sie seinen Lebenshorizont. Sie gehen miteinander aus. Manches geht völlig schief, der Rollstuhl bleibt im Schlamm stecken und dergleichen mehr. Doch manche Unternehmung wird einfach wunderschön.
Auch Louisas Horizont erweitert sich. Sie fängt an zu lesen. Sie recherchiert im Internet Möglichkeiten für Querschnittsgelähmte. Sie besucht ihr erstes klassisches Konzert und ist hin und weg. Will ermuntert sie, die engen Begrenzungen ihres bisherigen Lebens hinter sich zu lassen, Neues auszuprobieren, neue Wege zu gehen.
Nach und nach, sehr behutsam, kommen sich die beiden näher. Louisa löst sich aus alten Bindungen, die schon lange nicht mehr gepasst haben. Ein gemeinsamer, wunderschöner Urlaub kurz vor Ablauf der sechsmonatigen Frist scheint ihre letzte Chance zu sein, Will umzustimmen. Wird es reichen? Wird ihre Liebe genug sein, um Will weiterleben zu lassen?
Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen. Es steckt voller kleiner Details, die einfach wunderbar zusammenpassen, selbst wenn sie vielleicht ein wenig überzeichnet sind. Die liebenswerte, aber ziemlich arme Familie von Louisa, in der es herzlich, aber auch direkt zugeht. Die Nachbarschaft, die sowieso über alles Bescheid weiß. Die eher distanzierte, reiche Familie von Will. Louisas Freund, der nur noch seinen Triathlon im Kopf hat und sich immer weiter von seiner Freundin entfernt.
Etwas irritierend fand ich zunächst, dass fast das gesamte Buch aus Sicht von Louisa erzählt wird, aber doch die anderen Hauptpersonen manchmal ganz kurz, schlaglichtartig, zu Wort kommen. Beim ersten Mal hielt ich es mehr oder weniger für ein Versehen, doch es zieht sich durch das ganze Buch – und auch Will selbst kommt am Ende auf ähnliche Weise mit seinen Gedanken vor.
Es ist eine zarte Liebesgeschichte voller Fragezeichen, voller Hoffnung und Enttäuschung. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich nach und nach von ihrer Vergangenheit löst, die aufbricht, aufblüht. Es ist die Geschichte einer intensiven Freundschaft, ja Liebe, die doch nicht so zum Tragen kommen kann, wie sie es verdient hätte.
Ein wundervolles Buch, das ich kaum noch aus der Hand legen konnte.
Buchinformationen
Jojo Moyes: Ein ganzes halbes Jahr. Taschenbuch, 544 Seiten. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 6. Auflage 2015, ISBN: 978-3-4992-6672-0, 9,99 €
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